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“Versuchungen der Macht”

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islam- Temptations of Power – heißt ein Buch von Shadi Hamid (Brookings Institute, Washington) über Ägypten, Jordanien und Tunesien.

Wir lernen daraus etwas über Erdogans Türkei und – vielleicht auch – über die Erdoganisten unter den Deutschtürken.

Den Tenor des Buches fasst Joost Lagendijk, Zaman, so zusammen (in meiner Übersetzung):

Es sei nicht so, dass Islamisten umso moderater würden, je mehr sie in den demokratischen Prozess eingebunden würden.

Besonders in Ländern, in denen Islamisten ihre eigenen Netzwerke aus Moscheen, Kliniken, Stiftungen und Firmen haben, sehen Islamistische Parteien sich bedroht durch repressive Regime und seien darum bereit, ihre Ansichten und ihren politischen Stil zu mäßigen und auf Konfrontation zu verzichten.

Solange sie in Opposition sind, wollen  sie ihre institutionellen Wurzeln in der Gesellschaft nicht verlieren und – nach 9/11 – nicht als gewalttätige Revolutionäre wahrgenommen werden.

Es sei die Angst vor Repression, die Islamisten dazu veranlasse, weniger auf das Islamische Gesetz zu drängen und ihre demokratische Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, in der Hoffnung, dies möge paranoiden Regierungen weniger Grund geben, sie anzugreifen.

Das führe auch zu Unterstützung durch liberale und linke Kreise, zu internationaler Sympathie. Das alles dient zum Schutz.

Sobald allerdings die selben Islamisten an die Macht kommen, wie es in Ägypten 2012 geschehen ist, kehren sie zu ihren eher illiberalen Positionen zurück. Moderation und Kompromiss sind nun nicht mehr nötig – warum das ursprüngliche und eigentliche Ziel aufgeben?

Sogar die moderatesten Islamisten wollen, dass der Staat für religiöse Grundlagen und moralische Werte in der Gesellschaft sorgt, und zwar durch die soft power der Staatsmaschinerie, das Bildungssystem und die Medien.

So weit Lagendijk bzw. Shadi Hamid.

Der Zaman-Kolumnist hat einen zweiten Artikel angekündigt, der diese Argumentation, die bei Hamid die Muslimbrüder im Visier hat, auf die Türkei beziehen wird.

Der Bezug ist aber bereits klar. Mit dem Gewinn der absoluten Mehrheit und dem Ausschalten des kemalistischen (autoritären!) Militärs als autonomem Machtfaktor hat Erdogan die liberale Maske fallen lassen. Schritt für Schritt geht es jetzt auf seine Alleinherrschaft und auf eine nicht islamische, sondern islamistische Transformation der Türkei zu.

Festzuhalten ist, dass gläubige Muslime nicht von vorne herein Islamisten sind; Islamisten stehen gegen die Trennung von Religion und Staat/Politik, wollen über den Staat und die Regierung eine religiöse Ordnung der Gesellschaft erzwingen.

Erdogan macht inzwischen aus seinem Islamismus kein Hehl mehr.

Das bringt seine Anhänger in Deutschland in ein prekäres Licht.

Indem sie den Weg in den autoritären islamistischen Staat für die Türkei befürworten, legen sie den Gedanken nahe, dass sie auch in Deutschland nur deshalb drauf verzichten, weil es politisch nicht geht – weil es ihnen an Macht dazu fehlt.

Bedeutet dies, dass sie Deutschland in Gefahr bringen?

Nur für Paranoiker bedeutet es das.

Das Misstrauen ist gerechtfertigt – die Angst nicht.

Das Misstrauen: Dass Islamisten davon träumen, mittels Staatsmacht ihre religiös-reaktionären Gesellschaftsvorstellungen realisieren zu können, davon muss man ausgehen.

Die Angst: Dass dazu auch nur die geringste Chance in Deutschland bestünde, kann man nur behaupten, wenn man Paranoiker ist – also krank.

Anders als rechtsextreme Politikphantasien haben islamistische Politikphantasien in Deutschland keinen Resonanzboden. Gläubige sunnitische Muslime machen allenfalls mal 2% der Einwohner aus, weiter reicht der Resonanzboden nicht.

(Ich spreche hier nur vom Resonanzboden, nicht davon, dass die Mehrheit der damit Gemeinten auch auf die extremistische Botschaft reinfallen.)

Das Problem, das daraus entsteht, ist ein anderes.

Indem das Misstrauen wächst, wächst auch die Gefahr der Isolation und Ausgrenzung.

Wenn sich die sunnitischen Moscheevereine und ihre Dachverbände nicht dazu entschließen können, sich von Erdogan und seinem autoritären und islamistischen Kurs zu distanzieren, bestätigen sie das Misstrauen, das Muslimbrüder (zumindest die in Ägypten) und Erdogan/AKP (in der Türkei) geweckt haben.

Der Schritt vom Misstrauen zur Angst ist kurz – und schnell gemacht.

Auch wenn diese Angst paranoid sein mag, krank, weil sie insofern keine sachliche Grundlage hat, als keine Machtchance besteht und eine Islamisierung ausgeschlossen ist.

Die Moscheeverbände haben guten Grund, sich um ihrer eigenen Stellung in Deutschland willen und um der Integrationsinteressen ihrer Mitglieder willen zu überlegen, wie sie gegenüber Erdogan und seiner Politik etwas Distanz gewinnen könnten.

Anmerkung:

Zu den Problemen der islamischen Welt, sich von den Dschihadisten abzusetzen, hat die WELT einen Kommentar:

Es ist fahrlässig von den arabischen Führern, zum religiösen Wahn der Radikalislamisten weiter zu schweigen oder nur verhalten Kritik zu äußern. Und es ist verlogen, wenn die Despoten am Golf nun ihre Kampfjets in die Alliierten-Streitmacht entsenden, um einen Feind zu bekämpfen, den sie durch ihre Repressionspolitik und gesellschaftspolitische Totalverweigerung zu einem guten Stück selbst erschaffen haben.

Den restlichen Beitrag zur Erschaffung des IS-Monsters lieferte der sogenannte Westen selbst mit der rücksichtslosen Kolonialisierung der Region sowie einer erratischen postkolonialen Politik, die auf Verbündete nur setzte, wenn sie seinen Maßgaben genügte und sonst die Menschen entmündigte und demütigte.

Auch mit diesem chronischen Minderwertigkeitskomplex arabischer Jugendlicher muss der Aufstieg des IS erklärt werden, der in narzisstischer Manier längst vergangene Größe und Macht heraufbeschwört und suggeriert. In diesem geistigen Milieu nur kann eine rückwärtsgewandte Doktrin verfangen, die 1400 Jahre alt ist und für die Gegenwart nicht taugt.

Es geht in diesem innerislamischen Kampf um die Deutungshoheit dessen, was der Islam ist, nicht, was er vorgibt zu sein. Es geht um das arabisch-islamische Kulturerbe, um Identität, um Mittäterschaft durch Schweigen, um die Zukunft von weltweit 1,6 Milliarden Muslimen. Aber auch die nicht muslimische Welt muss ein Interesse daran haben, wie dieser ideologische Wettstreit ausgeht. Sie wird davon unmittelbar betroffen sein.

Viele von uns vergessen dabei allerdings, dass die weitaus meisten Opfer der Dschihadisten, der Autokraten und der aggressiv interessengelenkten Politik des Westens im “Orient” – gläubige Muslime sind.

(Den ersten Absatz des Zitats würde ich so nicht unterschreiben. “Verlogen” ist nicht das richtige Wort.)


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